Delhi und wie aus Delhi, Belly wurde.
Ich denke nach Indien geht jeder erstmal mit gemischten Gefühlen. Insbesondere dann, wenn man als Backpacker unterwegs sein wird, und nicht von vorne herein eine Reiseart mit Touri-Bus oder gar Taxi und Chauffeur buchen wird, was natürlich ein etwas höheres Budget erfordert.
Als wir in Delhi am Flughafen ankamen, waren wir ehrlicherweise zunächst positiv überrascht. Der Flughafen ist riesig, gepflegt und sauber, einladend eben. Die ersten Minuten Fahrt gingen durch breite Straßen, die an Alleen erinnerten, vorbei an den Marriotts und anderen Luxushotels dieser Welt. Wir ahnten aber schon, dass der Schein trügt, nach allem, was man von Delhi so hört und liest. Und dann ging’s auch bald schon los. Wie urplötzlich, umhauend und erbarmungslos: Welcome Chaos, Hupen, Laut, Abgase, Müll, Dreck, viele viele Menschen. Wahnsinn. Und tatsächlich, es geht noch schlimmer als Kathmandu 😉
Delhi hat wie jede Megacity verschiedene Gesichter. Der Süden Delhis soll etwas wohlhabender, sauberer und ruhiger sein. Hinter dem Central Station, dem riesigen Hauptbahnhof, ist der Connaught Circus, ein kreisförmig angelegter Bereich mit Luxusgeschäften und einem Central Park, der wie eine Rettungsoase erscheint, wenn man sich wie wir einen Fußmarsch durch die Stadt antut.
Unser Hostel lag mitten am Main Bazar, der Touri-Hauptmeile im Herzen Delhis. Da unser Taxifahrer uns zuerst zum falschen Hostel fuhr, lotste er uns nach ein paar Minuten weiter zum richtigen. Zu Fuß. Alles andere war unmöglich, da es durch verwinkelte dunkle kleine Gässchen ging, die keine zwei Meter breit waren, die man sich aber natürlich trotzdem mit zig anderen Menchen, Motorbikes und Tieren teilte. Dazu die fast schon gewohnten Gerüche: Abgase, Müll, Urin. Herrlich! Also Kopf hoch und lächeln, Luft anhalten und hoffen, dass wir bald ankommen und es nicht allzu schlimm wird.
Die Unterkunft bekam das Siegel OK und wir stürzten uns in den Main Bazar. Wir würden auf jeden Fall empfehlen, in einem anderen Stadtteil unterzukommen! Ziemlich schnell haben wir entschieden, dass wir aus zwei geplanten Nächten in Delhi eine machen. 😉 Nachdem wir uns mit einigen Backpackern unterhalten haben und mehrfach zwischen Central Station und Hostel hin und her gerannt sind, da wir für die Zugtickets immer etwas benötigten, was wir gerade mal wieder nicht dabei hatten, hielten wir am nächsten Morgen glücklich unsere Zugtickets für die 3. Klasse AC 3 in den Händen mit Destination Bikaner, einer Wüstenstadt.
Hauptbahnhof Delhi.
Bikaner – Zug fahren in Indien und zweitägiger Zwangsaufenthalt in Bikaner
Die erste Zugfahrt in Indien. Wie alle haben auch wir uns zuvor auf zahlreichen Seiten darüber informiert und waren sehr gespannt. Schlimmer als in Zambia kann es ja auch nicht werden, dachte ich 😉 Und der Erwerb des Tickets hat ja schon mal recht gut funktioniert. Die Dame am Touristenschalter, den es in größeren Bahnhöfen meist gibt, war extrem nett und geduldig. Über den normalen Tarif bekamen wir kein Ticket mehr, da wir sehr kurzfristig dran waren. Im System prüfte sie die Talkat Quota. Das ist eine Warteliste, die 24 Stunden vor Abfahrt geöffnet wird. Da Zug das Fortbewegungsmittel Nr. 1 in Indien ist, buchen viele Inder einfach mal Tickets auf Vorrat, sodass ein Großteil kurz vor Abfahrt verfällt bzw. wieder frei wird. Wenn man also auf die Warteliste kommt und unter den ersten 10 bis 20 Plätzen landet, hat man zu 99% einen Sitzplatz. Online ist das Buchen ohne indische Kreditkarte etwas komplizierter, und da wir nicht ewig Zeit hatten, hatten wir es direkt live versucht. Wie bei allem in Indien benötigt man aber auch hier Zeit, viel Zeit, noch mehr Zeit und ganz viel Geduld.
Vom Zugsystem in Indien waren wir dann schon ein wenig beeindruckt. Egal wie chaotisch alles erscheint und ohne Zweifel auch ist, das Bahnsystem ist durchdacht und scheint relativ gut zu funktionieren. Sicher gibt es auch hier oft immense Verspätungen bis zu Ausfällen, was wir leider auch noch am eigenen Leib erleben sollen. Dennoch denke ich, dass die Deutsche Bahn daneben schon lange nicht mehr glänzt. Wir haben morgens am Schalter unser Ticket gekauft, und abends wurden ausgedruckte Listen an jeden Waggon gehängt, wo die Passagiernamen draufstanden. Und da fanden wir tatsächlich unsere Namen samt Platznummer drauf! Das gibt’s beim ICE in Deutschland nicht. Online kann man in Echtzeit jederzeit nachvollziehen, wo sich der gebuchte Zug befindet, an welchen Stationen er welche Verspätung hat und wie der eigene Booking Status ist, sollte man auf die Warteliste gesetzt worden sein.
In der Regel fährt man in Indien mit over-Night-Trains, insbesondere bei längeren Strecken. Die Waggons bestehen also meist aus Schlafabteilen. Die AC Klassen unterscheiden sich eigentlich nur in der Anzahl der „Pritschen“, wie ich sie getauft habe, die übereinander gestapelt sind. So sind es bei AC 3 eben 3 übereinander, bei AC 2 zwei übereinander usw. Sieht ein bisschen aus wie im Gefängnis 😉 aber man bekommt Bettlaken, Kissen und warme Decken ausgeteilt, letztere habe nicht mal ich gebraucht. Die mittlere Pritsche ist mit Ketten befestigt, die tagsüber abgehängt werden, sodass sie als Lehne dient und man normale Sitzbänke erhält. Geschlafen haben wir natürlich nicht, zumindest nicht bei dieser ersten Fahrt 😉 Das lag aber vermutlich eher daran, dass ich meine Oropax blöderweise nicht ganz so schnell griffbereit hatte, wie ich dachte. Und natürlich musste direkt mir gegenüber der wohl am widerlich schnarchendste Inder ganz Indiens liegen! Nichtmal in 80-Betten Pilgerherbergen auf dem Jakobsweg habe ich Schlimmeres erlebt. Die ganze Nacht über lag ich wach und habe ihm ganz viele schlimme Dinge an den Hals gewünscht.
Um 7 Uhr morgens kam der Zug dann relativ pünktlich an. Leider ging es Marcel schon nicht mehr so gut, und nach der neunstündigen Bahnfahrt musste er das Essen vom Abend zuvor in Delhi direkt am Bahngleis in Bikaner lassen. Von da an nahm das Drama Indien seinen Lauf. Und das Sprichwort Delhi Belly, vor dem so einige gewarnt hatten, schlug mit brachialer Härte zu. Es heißt ja, es wird jeden einmal erwischen. Nach den nepalesischen Küchen wägten wir uns abgehärtet und in Sicherheit. Der Schein trügte wohl. Irgendetwas bekam uns nicht gut. Über eine Woche waren Bauchkrämpfe, Übelkeit, andauerndes Unwohlsein und ein sehr unangenehmes Schwächegefühl unsere ständigen Begleiter. Dazu kam bei beiden eine massive Erkältung, die wahrlich seinesgleichen suchte und die sich überaus hartnäckig hielt. In so einem Zustand macht leider nichts mehr so richtig viel Spaß.
Den ersten Tag verbrachten wir also im Bett oder im Bad 😉 Der Hostelbesitzer zeigte sich ausgesprochen nett, hilfsbereit und fürsorglich. Schien ein stinkreicher Kerl zu sein, Besitzer mehrerer Textilfabriken, mehrerer Hotels und einer Kamelfarm sowie dutzender Polopferde. Er hat sich rührend um unser Wohlbefinden gekümmert, und am Folgetag ging es schon ein klein wenig besser. Zumindest so weit, dass wir uns mal auf die Straße trauten. Die „Stadttour“ war dann ziemlich ernüchternd: Warum nochmal hatten wir Stop in Bikaner gemacht? Ah ja, ein Fort, unser erstes.
Das Junagarh Fort in Bikaner.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer in der Wüste.
Die normale Härte am indischen Straßenrand.
Das Stadttor zu Bikaner Oldtown.
In der Altstadt, weit ab vom Geschehen, wird es ruhiger. Hier gibt es insbesondere Havelas zu bestaunen, alte Herrenhäuser. Leider sind sie sehr verfallen, aber es lässt sich erahnen, dass es einst sehr schöne Gebäude waren.
Und falls man eine Kamelsafari machen möchten mit Übernachtung in der Wüste, wird oft empfohlen, das von Bikaner aus zu machen, da es von Jaisalmer aus schon sehr kommerzialisiert ist. Aber das hatten wir aufgrund unseres labilen gesundheitlichen Zustands ohnehin bereits gestrichen. Und – so komisch das auch klingen mag – es gab hier auch einfach nichts Brauchbares zu essen. Zumindest nicht so etwas, was man in unserem Zustand gerne zu sich nimmt. Also kauften wir ein wenig Gemüse und Kartoffeln an einem Stand und nutzten mal die Hostelküche. Die beste Idee seit langem.
Meisterköchin in einer vertrauten Umgebung 😉
Jodhpur – the Blue City by Bike und ein Kurzbesuch im governmental Hospital
Mit einem Local Bus ging es weiter in die nächste Großstadt Jodhpur. Auch wenn wir beim Einsteigen in Bikaner zuerst dachten, wir überleben das nicht, war der Bus sogar noch ok.
Jodhpur ist so ähnlich wie Delhi, ich denke das sagt schon einen Großteil aus. Unsere Budgetunterkunft war wieder mal „vom Feinsten“ 😉 aber der Manager, ein junger Familienvater, der das Hostel neben seinem Sportstudium für seine Eltern leitete, dafür auch wieder extrem nett und hilfsbereit. Gleich für den nächsten Tag um 6.30 AM organisierte er für uns eine Stadtführung mit dem Fahrrad. Wir hatten den Guide – einen jungen Tourismusstudenten – für uns alleine.
Klar, sind wohl nicht viele so bescheuert wie wir, mit einem Fahrrad durch eine indische Großstadt zu fahren 😉 Wir sind zugegebenermaßen zwischendurch auch einiges gelaufen, ging aufgrund der kleinen Gassen in der Altstadt gar nicht anders, aber die Räder waren in Ordnung.
An wesentlichen Sehenswürdigkeiten bietet Jodphur neben diversen kleineren Hindutempeln das Mehrangarh Fort, den Uhrenturm „The Clock Tower“ Ghanta Ghar, Zentrum und Wahrzeichen der Altstadt. Er steht inmitten auf dem großen bunten Sardar Market, der vielmehr einem Bazard gleicht.
Ghanta Ghar am Morgen.
Am Mittag.
Und am Abend 😉
Weiter das Jaswant Tanda, den Umaid Bhawan Palace – der letzte Palast seiner Größe, der in Indien gebaut wurde: einen Teil bewohnt immer noch die königliche Familie, ein anderer beherbergt ein Luxushotel für rund 600 $ die Nacht, und nicht zuletzt das blaue Viertel. Jodhpur wird nämlich auch als „the Blue City“ bezeichnet. In einem Viertel Nähe des Forts Mehrangarh sind die Häuser hauptsächlich blau angestrichen. Die Farbe kommt von der Indigopflanze. Nach Anstrich dauert es ca. einen Tag, bis sie sich blau färbt. Nur Mitglieder der Priester Kaste dürfen ihre Häuser blau streichen, weshalb dies auch das Priesterviertel ist. Von den vier Kasten in Indien bilden die Priester, die Brahamen, die höchste. Anschließend folgt die Kaste der höheren Beamten, dann die der Händler und Kaufleute, die letzte Kaste bilden Dienstleister. Dann gibt es noch eine „unterste Schicht“, die nicht mehr wirklich als Kaste gilt: die „untouchables“, die Unantastbaren. Man solle sie nicht berühren, da ihr Körper voller Bakterien sei. Die Menschen aus dieser Schicht gehen überwiegend einfacheren Tätigkeiten nach, wie z.B. jeden Morgen den Müll in den Straßen zusammen kehren. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts hatte man wohl noch die Gelegenheit, sich von einer niedrigen Kaste in eine höhere hochzuarbeiten. Heute wird man in eine Kaste hineingeboren und bleibt hier ein Leben lang. Dennoch gibt es auch heute durchaus die Möglichkeit, bessere Jobs zu erhalten und ein „besseres“ Leben zu führen. Zudem werden die Unantastbaren auch von der Regierung unterstützt: Ca. 30 % der Beamtenjobs sind für diese Schicht vorgesehen, und ein Kandidat muss hier angeblich wesentlich weniger an Qualifikationen mitbringen, als es jemand anderes müsste. Eine „untouchable – Quote“ also. Insbesondere einigen jungen studierten Indern erscheint dies wie eine Ungerechtigkeit. Genug Exkurs, zurück zur blauen Stadt.
Neben Blau sieht man auch oft Pink 🙂 Diese weißen Pferde mit pinkem Schuhwerk werden insbesondere bei Hochzeiten eingesetzt.
Umaid Bhawan Palace.
Beeindruckend war auch der Step Well, ein Stufenbunnen, der direkt bei uns um die Ecke lag. Hierbei handelt es sich um einen Wasserspeicher, der je nach Wassermenge wegen der Stufenbauweise unterschiedliche Oberflächen hat. Stufenbrunnen sind wohl eine der originellsten Beiträge der indischen Baukunst zur Weltarchitektur. Derer gibt es mehrere in Indien, einer (aus Patan, hier waren wir aber nicht) gilt seit 2014 sogar als UNESCO Weltkulturerbe. In so trockenen Gegenden wie Rajasthan regnet es nur wenige Wochen im Jahr, während des Monsuns, weshalb das Wasser gespeichert werden musste. Natürlich – wie fast bei allem in Indien – ist auch solch ein Stufenbrunnen diversen Göttern gewidmet.
Der ganze Trubel und damit Hauptverkehr beginnt erst so gegen 10, daher war es noch nicht ganz so lebensgefährlich, morgens mit dem Rad unterwegs zu sein.
Beim Zuckerfrittiermeister um die Ecke wollte man uns auch ein typisches Local Breakfast spendieren:
Gutes von gestern wäre mir lieber gewesen 😉
Marcel hat es aus Höflichkeit probiert. Ich lehnte dankend ab. Mein Magen rebellierte ohnehin immer noch.
Am Tag darauf sollte es in das Fort gehen, welches wir am Vortag nur von außen gesehen haben. Leider wurde die Rebellion in meinem Magen und Umgebung immer stärker, sodass ich das nette Angebot unseres Hostelmanagers annahm, mich zu dem nahe gelegenen governmental hospital zu bringen. Nach einer einminütigen Unterhaltung mit einem indischen Arzt mit zerhacktem Englisch wurde ich in einen lazarettähnlichen Raum geführt, den man in der Form wirklich nur aus Kriegsfilmen kennt. Um die zehn Pritschen standen herum, deren einst weiße Laken mittlerweile alle möglichen Flecken schmückten. Auf so eine sollte ich mich also legen. Als ich dann sah, wie sie eine Infusion vorbereiteten, habe ich vehement protestiert und schlagartig die Flucht ergriffen. Letztlich bekam ich ein paar Tabletten und eine Elotrans Getränkemischung verschrieben, die wir dann bei einer der Apotheken – einem weiteren Bretterverschlag an der Straße – besorgten. War sicher nicht das Schlechteste, denn die nächsten 30 Stunden verbrachte ich dann wieder im muffigen viel zu warmen Hostelzimmer. Marcel hat sich das Fort dann alleine angesehen.
Nach dem Kurzbesuch im Krankenhaus zog es mich zum Fort. Es war schon kurz nach Mittag und die Sonne stand im Zenit. Als ich am Fort ankam brauchte ich erstmal eine Stunde, um mich wieder zu akklimatisieren. Bei gefühlten 40 Grad und abertausenden Indern im Nacken stand ich nun am Eingangsschalter und jeder Dritte wollte ein Selfie mit mir. Generell wird man als Ausländer ständig nach Selfies gefragt. Hätten wir für jedes Selfie 50 Rupien genommen, hätte sich Indien selbst finanziert 🙂
Tore wurde immer mit einer kleinen Kurve davor versehen, um Angreifer, die mit Elefanten ankamen, am Eindringen zu hindern. Diese können nämlich nur gerade aus rennen, insbesondere wenn sie mit Baumstämmen irgendwelche Tore rammen sollen.
Dieses majestätische Fort macht seinem Namen alle Ehre. Es steht auf einem 125 m hohen Hügel und gehört zu den beeindruckendsten des mit Forts reichlich bestückten Staates Rajasthan.
Aber auch abseits der Touripfade finden sich tolle Motive.
Und im nächsten Beitrag gehts ins kleine aber feine Pushkar zur weltweit größten Kamelmesse…
Liebe Grüße
Diana und Marcel
Wolfgang 20. November 2017
Traumhafte Bilder bzw. Foto`s
Doris 20. November 2017
Auch diese Fotoreise ist wunderschön. Freu mich auf Thailand….
Marcel 21. November 2017
Hey! Danke geben uns Mühe. LG Marcel
Peter 15. Dezember 2017
Einfach wunderschöne Bilder u.Beschreibungen der einzelnen Stationen.An Euch Beiden,sind sehr gute Reiseschriftsteller verloren gegangen.Meinen Respekt u.macht weiter so.Vielen Dank.